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Smart Cities – die Zukunft hat längst begonnen


Eine Kolumne von Frank Preßler


Wie werden Städte in 20, 30 oder 50 Jahren aussehen? Wenn man sich die letzten 50 Jahre anschaut, gab es wenige Veränderungen. Im Wesentlichen sehen Städte heute so aus wie früher, von architektonischen Moden einmal abgesehen. Die Zukunft aber wird digital sein, das Internet der Dinge wird für eine vollkommen neue Vernetzung sorgen, und die aktuellen Herausforderungen im Hinblick auf die städtische Lebensqualität werden weiter steigen, da die Urbanisierung ununterbrochen anhalten wird. Welche Lösungen gibt es also?
Eine Frage beschäftigt mich seit längerer Zeit. Sie ist einfach zu stellen, aber nur schwer zu beantworten. Diese Frage stammt von meinen Töchtern und lautet: „Papa, was tust Du eigentlich, damit wir und unsere Kinder in 50 Jahren auch noch gesund in einer Stadt wie Hannover leben können?“ Meine Frau und ich haben dazu Antworten, die aber nicht Gegenstand des heutigen „mITgedachts“ sein sollen, vielmehr geht es um das Thema in seiner Gesamtheit. Wohin führt uns urbane Mobilität, was sind eigentlich smarte Cities und was zum Teufel hat ein Kreisel damit zu tun?

Voranstellen möchte ich den Hinweis, dass die folgenden Gedanken nur eine von vielen zukünftigen Optionen darstellen. Der Text soll lediglich aktuelle Fragen beantworten und im Kern erläutern, um was in den kommenden Jahrzehnten in urbanen Lebensräumen eigentlich geht. Politisch gefärbte Statements werden vermieden, gleichwohl viele der Themen politisches Tagesgeschäft sind. Das heutige Essay ist wie immer zu kurz, um alle Facetten darzustellen. Es gibt noch viel mehr Ideen und Vorstellungen, die so oder ähnlich Realität werden könnten.

Die aktuellen Diskussionen im Kontext der Luft-Situationen in deutschen Innenstädten sind eindimensional und durch Kurzfristigkeit gekennzeichnet: Es geht in erster Linie um Fahrverbote für bestimmte Kraftfahrzeuge (Kfz), wenn über Feinstaub- und CO2-Belastung gesprochen wird. Es hat den Anschein, als ob kaum jemand in entscheidungsrelevanten Positionen eine Vision hat, die über einen Zeitraum von zehn Jahren hinausgeht. Dabei kann das Thema der urbanen Mobilität nur langfristig gedacht werden, um es parteiübergreifend in einer Art Generationenvertrag abzusichern. Alles andere führt lediglich zu Zick-Zack-Kursen in Abhängigkeit von Wahlergebnissen und damit zu keinen erkennbaren Veränderungen.

Bemerkenswert an der Diskussion ist wie so oft, dass die Technik und viele Firmen heute schon viel weiter sind. Lassen Sie mich daher ein Gedankenmodell entwickeln, worum es schon heute eigentlich gehen müsste, um eine Vision „Smart Cities 2050“ zu kreieren. Diese Vision ist konsequent und daher vermutlich auch für viele auf den ersten Blick nicht hinnehmbar – aber wie so oft sind disruptive Veränderungen richtiger als ein bemühtes Basteln an einigen, wenigen Stellschrauben.

Mobilität 2050

In 33 Jahren leben je nach Hochrechnung etwa 70 bis 80 Prozent der Menschen in Städten unterschiedlichster Größenordnungen. Niemand benötigt mehr ein eigenes Auto, es ist bestenfalls einfach obsolet, vermutlich sozial geächtet und im Extremfall schlichtweg verboten. Die Mobilität ist vollkommen nüchtern betrachtet eine Dienstleistung, die als Service einkaufbar ist. Niemand fährt mehr selbst, da sämtliche Kfz die Stufe 5 des autonomen Fahrens [1] erreicht haben. Schon heute in der Gegenwart werden Weichen dafür gestellt, ob dieser Service in einigen Jahrzehnten staatlicher oder privatwirtschaftlicher Natur ist. In dem im Juni 2017 verabschiedeten Infrastrukturgesellschaftserrichtungsgesetz (InfrGG [2]) ging es bereits darum, ob künftig direkt oder indirekt Autobahnen privatisiert werden könnten. Und auch die erst im Monat davor verabschiedete Änderung des Straßenverkehrsgesetzes zur Festlegung von ersten Leitplanken für autonomes Fahren zeigt: Die Zukunft hat längst begonnen.

Das Bild von morgen umfasst neben der „Mobility as a Service“ (MaaS) auch hochintelligent vernetzte Systeme im Kontext des Internets der Dinge [3]. Während wir noch heute über Ladestationen für E-Autos diskutieren, ist morgen das induktive Laden der Batterien [4] Normalität. Was heute bereits für elektrische Zahnbürsten oder Smartphones funktioniert, kann und wird morgen auch für Autos realisiert sein. Es ist keine Frage des „ob“, nur eine Frage des „wann“. Die Intelligenz der Systeme beinhaltet natürlich auch das Management von Energie. Millionen von E-Fahrzeugen bedeuten, dass sie überall geladen werden wollen und können. Noch interessanter ist es aber, diese Fahrzeuge als Energiespeicher anzusehen, die nicht nur Energie beziehen, sondern auch abgeben könnten. Angesichts der noch lange nicht zu Ende ausgereiften Effizienz von Batterien – und hieran muss zweifellos priorisiert gearbeitet werden – erscheint ein solches Thema weit weg zu sein und gehört doch auch in die Gesamtbetrachtungen.

Ebenso gehören in das Zukunftsbild sensorbestückte Straßenlaternen [5], die die zentralen Informationssysteme mit Echtzeit-Daten beliefern, um beispielsweise freie Parkplätze anzuzeigen. Und dass Parkflächen insbesondere in Innenstädten auslastungsorientiert abgerechnet werden, ist weniger Zukunft, denn schon heute teilweise umsetzbar. Als eine Vorzeigestadt wird mittlerweile gerne die spanische Stadt Santander genannt, die bereits in hohem Maße die digitale Vernetzung der Stadt vorantreibt. [6]


Aussperren ungleich smart

Fahrverbote sind einfach umzusetzen und zugleich ein Ausdruck der Verzweiflung. Sie können temporär nützen, erfordern aber unbedingt eine Bündelung von langfristigen Zielen und Maßnahmen. Genau an diesen scheint es derzeit zu fehlen, und genau deswegen verliert Deutschland den Anschluss im Vergleich zu anderen Ländern. Die beiden sogenannten Diesel-Gipfel waren vergangenheitsorientiert, andere Länder entscheiden dagegen zukunftsorientiert.

Beispiele: London hat sich im Sommer 2017 entschlossen, ab 2040 keine Autos mehr mit Verbrennungsmotoren in die Innenstadt zu lassen. Frankreich hat diese Entscheidung erst einige Wochen vorher getroffen. In Norwegen ist man wie immer noch weiter und gibt vor, dass Neuwagen ab 2025 emissionsfrei sein müssen. Die Londoner zahlen bereits seit 2003 eine Nutzungsgebühr für das Befahren der City mit einem Kfz. Diese klassische Maut wurde nun ganz aktuell für alle Autos, die die Euro-4-Abgasnorm nicht erfüllen, noch einmal knapp verdoppelt. In Zahlen ausgedrückt: Besitzer solch alter Fahrzeuge zahlen ab sofort umgerechnet etwa 24 Euro Maut. Pro Tag!

Jede Form eines solchen sogenannten staatlichen Paternalismus sollte wohlüberlegt genutzt werden. Besser als strikte Verbote sind sicherlich die Verbesserung alternativer Angebote in Kopplung mit einer stufenweisen Verringerung der Attraktivität alter Technologien, beispielsweise durch Maut-Systeme wie in London und vielen anderen Städten. Der Ausbau des ÖPNV ist die offensichtlichste Maßnahme. Dabei geht es aber schon heute auch in einer Stadt wie Hannover darum, nicht zur Straßenbahnlinien zu verlängern sondern auch die Taktzeiten in den verkehrsstarken Stunden des Tages zu überdenken. Wer einmal in der Zeit zwischen 7 und 8 Uhr morgens in einer beliebigen Straßenbahn in Hannover stand, wird sich einen Komplettumstieg vom Auto zwei Mal überlegen.

Der Ausbau des ÖPNV beinhaltet zwingend auch die Etablierung neuer Angebote fernab der heute starren Linienmodelle und vollkommen neuartige Denkmuster. In Hannover sind derzeit viele Kleinbusse des Autoherstellers Volkswagen mit der Aufschrift „MOIA“ zu sehen. Es handelt sich dabei um eine Tochterfirma von VW, und in Hannover wird gerade ein Teil Zukunft für die Stadt Hamburg getestet [7]: Dort wird es ab 2018 die ersten „Shuttle on demand“-Angebote geben, da die Stadt Hamburg vor einiger Zeit eine Kooperation mit VW vereinbart hatte. Dieses neuartige Mobilitätsangebot wird gemeinsam in einem kooperativen Ansatz mit der Hochbahn Hamburg realisiert. Die Funktionsweise ist einfach: Per Smartphone wird der Shuttle-Wagen bestellt und das Ziel ausgewählt. Die Algorithmen fassen ähnliche Fahrwege verschiedener Kunden dann zu einer Tour zusammen und geben den Kunden Abhol- und Ankunftszeit bekannt. Es ist quasi eine Mischung aus Car-Sharing, Taxi und Bus. Die Firma IBM hat mit ihrer Shuttle-Vision namens „Olli“ die gleiche Denkweise mit der Künstlichen Intelligenz (KI) ihres eigenen Systems „Watson“ kombiniert, um autonom fahrende Shuttles anbieten zu können [8]. Diese Modelle zu Ende gedacht, sind der Anfang vom Ende privater Kfz.


We need a Fluxkompensator

Wer über smarte Cities und urbane Mobilität nachdenkt, wird im Hinblick auf Elektrofahrzeuge immer wieder das Argument hören: Die Batterien für E-Autos sind umweltschädlich und ohne Reichweite, der sogenannte CO2-Abdruck eines e-Autos ist viel schlechter als der eines herkömmlichen Wagens mit Verbrennungsmotor. Für anno 2017 ist das bestimmt richtig. Richtig ist jedoch auch, dass kaum eine Branche derzeit so wächst wie diese. Europa ist hier bereits derart abgehängt, dass sich der EU-Kommissionsvizepräsident Maros Sefcovic Mitte Oktober 2017 genötigt sah, in Analogie zu Airbus im Flugbereich eine europaweite Zusammenarbeit im Batteriesektor anzumahnen[9]. Der Markt wird aktuell von Asien dominiert, von Firmen, die heute kaum bekannt aber den hiesigen Firmen viele Jahre voraus sind. Und was macht der Pionier Tesla? Tesla baut einfach sein eigenes, weltweites Ladenetzwerk aus. In Deutschland gab es Ende 2016 bereits knapp 400 Ladepunkte, hinzu kommt noch ein Vielfaches an Lademöglichkeiten durch Kooperationen mit Hotels.

Und dann ist da noch die Firma Kreisel, gegründet von drei Brüdern aus Österreich, die eine echte Konkurrenz darstellen. Wie auch Tesla nutzt Kreisel klassische Lithium-Ionen-Zellen (quasi nichts anderes als die Akkus aus einem Notebook), setzt diese jedoch anders zusammen. Entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg wird neben der Reichweite auch ein Thema sein, dass heute noch schwer fassbar ist: die Haltbarkeit. Hier werden Tesla eher Schwächen nachgesagt. Es kann sein, dass Firmen wie Kreisel oder künftige Batterie-Großanlagen alteingesessener Firmen langfristig besser unterwegs sind. So oder so: Der Fluxkompensator ist noch nicht erfunden, aber alles deutet darauf hin, dass die Herstellung leistungsfähiger, haltbarer und zudem ressourcenschonender Energiespeichersysteme eines der zentralen Themen der kommenden Jahre und zudem ein gigantischer Markt sein wird.

Informationstechnologie als neuer Schmierstoff

Schon heute sind Autos Kleincomputer auf Rädern. Die Zukunft wird die IT jedoch noch deutlich mehr in den Vordergrund treten lassen und dies nicht nur im Kontext des autonomen Fahrens. Stand heute existieren für alle möglichen Technologiefelder IT-Systeme unterschiedlicher Heterogenität. Nur als Beispiele seien die Geschäftsfelder Energie, urbane Infrastruktur, Car-Sharing, ÖPNV, Logistik und Transportwesen genannt. Aktuell handelt es sich um größtenteils informationstechnologische Inseln, die in ihrem jeweiligen Umfeld mehr oder weniger gute Arbeit verrichten. Man kann sich das System im Prinzip vorstellen wie die fünf Fachbereiche bei IT.Niedersachsen. Die Herausforderung der Zukunft besteht darin, diese Bereiche miteinander zu vernetzen, also horizontal wirkende Plattformen zu schaffen.

Im IT-Umfeld müssen diese Systeme also interoperabel werden. Es bedarf neuartiger Smart Data-Plattformen, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Sind solche horizontalen Servicemodelle erst einmal etabliert, können auf dieser Basis über offene API-Schnittstellen kundenorientierte Apps entwickelt werden, um sämtliche Bereiche einer Smart City auf Knopfdruck überschauen, bedienen und nutzen zu können. Als Bürger einer solchen Stadt kann ich binnen Sekunden entscheiden, wie ich von A nach B komme, einen dazugehörigen Transportservice buchen, meinen Stromverbrauch zu Hause steuern und Energie im Markt ein- oder optional verkaufen, mein smart Home vollständig ansteuern oder weitere, städtische oder private Services nutzen, deren Geschäftsmodelle heute noch gar nicht absehbar sind.


Migration statt grüne Wiese

Die zuvor genannten Szenarien sind keine echte Herausforderung, da sämtliche Technologien längst verfügbar oder zeitnah marktreif sein werden. Die wirkliche Herausforderung besteht darin, dass es keine grüne Wiese gibt, auf der all das aufgebaut werden kann. Die heutigen Sorgen in Bezug auf Wertverluste der jetzt genutzten Kfz oder künftiger Investitionen sind vollkommen berechtigt und ernst zu nehmen. Die Sorgen im Hinblick auf Datenschutz bei vernetzten Systemen sind ebenso berechtigt. Hierfür bedarf es Lösungen, die nicht in Form von Blockaden daherkommen, vielmehr bedarf es langfristig ausgerichteter Entscheidungen, wie es andere bereits vorgemacht haben. Zeithorizonte über 25 Jahre sorgen für Planungssicherheit bei Firmen wie im privaten Sektor. Entscheidungen dieser Art sorgen auch dafür, dass neue Start-Ups gedeihen können und sich gerade im IT-Umfeld vieles bewegen könnte. Auch für IT.Niedersachsen könnten sich Geschäftsfelder eröffnen, die heute noch ganz weit weg sind.



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[1] https://www.mobilegeeks.de/artikel/autonomes-fahren
[2] https://www.heise.de/tp/features/Privatisierung-von-Autobahnen-Bundestag-beschliesst-umstrittenes-Gesetz-3731751.html
[3] https://www.heise.de/microsites/das-insider-portal/internet-der-dinge/intelligente-verkehrsleitsysteme-verhindern-in-der-smart-city-den-dauerstau/150/501/1672
[4] http://www.dlr.de/dlr/desktopdefault.aspx/tabid-10122/333_read-18772/year-2016/#/gallery/23806
[5] https://www.computerwoche.de/a/strassenlaternen-als-smart-city-enabler,3312691
[6] https://21-grad.vaillant.de/technik-und-trends/smart-city-santander/
[7] http://ngin-mobility.com/artikel/moia-fahrzeugen-shuttle-service-in-hamburg-starten/
[8] https://youtu.be/9joEsWiYFEI [9] https://www.reuters.com/article/us-eu-autos-electric/eu-invites-industry-chiefs-to-plug-into-battery-revolution-idUSKCN1C81PQ
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