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Vertrauen ist gut, Kontrolle ist … ja, was eigentlich?


Eine Kolumne von Frank Preßler

Über den gesellschaftlichen Kit in sozialen Systemen

Wenn wir morgens bei der Arbeit angekommen sind, haben wir es bereits getan. Gleich mehrfach, ohne es bewusst zu merken oder gar zu reflektieren. Wir haben vertraut. Uns selbst, unseren direkten Mitmenschen im familiären Umfeld, den physikalischen Gesetzen und unzähligen Personen außerhalb der eigenen vier Wände. Sie und ich, wir vertrauen rund um die Uhr, ohne es bewusst zu merken, und auch andere Menschen vertrauen Ihnen in gleichem Maße. Stellen Sie sich eine Welt ohne Vertrauen vor: ohne Regeln, ohne Werte und Normen, ohne die einfachsten, elementarsten Grundpfeiler des Zusammenlebens, gar ohne physikalische Gesetze. Sie würden vor lauter Angst nur noch im Bett verharren, und selbst dort können Sie nicht darauf vertrauen, dass Ihnen nichts geschieht.

Wenn also das Vertrauen eine derart wichtige Rolle im alltäglichen Miteinander spielt, wie sieht dann aber der Umgang damit aus, wenn man es bewusst einsetzen muss? Im Privatleben haben sich ganze Geschäftszweige entwickelt, die auf Misstrauen basieren. Paypal würde es bei vollkommenem Vertrauen vermutlich nicht geben. Bewertungssysteme, insbesondere bei eBay, sind Ausdruck von mangelndem Vertrauen. Als das noch nicht genug war, gründeten sich Firmen wie TrustCloud (http://www.shareable.net/blog/trustcloud-the-path-to-establishing-trust-online). Deren Geschäftsmodell ist es, Menschen auf Basis von verfügbaren Daten im Sinne eines Profiling ein Gütesiegel zu verschaffen, um gerade im Bereich der Sharing Economy (beispielsweise AirBnB) neue Sicherheiten zu schaffen.


Vertrauen als Baustein zur Reduktion der Komplexität

Ganz allgemein lässt sich sagen, dass wir alle in einem Mindestmaß einander vertrauen müssen, da die Komplexität unserer Gesellschaft und den unendlich vielen Interaktionen viel zu hoch ist. Die Alternative wären fortlaufende Kontrolle und stetes Misstrauen. Diese Alternative ist jedoch keine echte, da sie auf Dauer nicht durchzuhalten wäre. Insofern sorgt Vertrauen für eine Reduktion der Komplexität, die auch dringend geboten ist. Schon einzelne Fragmente unseres Alltags sind im Detail so komplex, dass sie kaum zu durchdringen wären. Nur wenige würden vermutlich das Finanzsystem vollkommen durchdringen, nur wenige die politischen Systeme, nur wenige die Felder der Medizin, Energieversorgung, Mobilität oder Rechtswissenschaften – und schon gar niemand die Vernetzung aller Themen untereinander. Es ist vollkommen unmöglich, ohne ein Mindestmaß an Vertrauen auszukommen. Und ja: Dieses Vertrauen kann missbraucht und verletzt werden.

Insofern ist Vertrauen auch immer ein Balanceakt: Vertrauen ist letztlich eine Art Wette in die Zukunft. Vertrauen ist immer vorwärts gerichtet und unterscheidet sich genau deshalb vom ähnlich klingenden Begriff der Vertrautheit. Diese ist stets rückwärtsgewandt und Ergebnis positiver Erfahrungen. In einem vertrauten Umfeld fühlen wir uns wohl, es gibt weniger Sorgen, Ängste und potenzielle Gefahren. Vertrautheit kann auch ein Ergebnis von zuvor geschenktem Vertrauen sein und wiederum Vertrauen geben. In Ihrem Lieblingsrestaurant werden Sie dank großer Vertrautheit immer wieder auf die Kochkünste vertrauen und auch etwaige Enttäuschungen viel eher tolerieren als in einem erstmals besuchten Lokal. Vertrauen und Vertrautheit stehen insofern in Wechselwirkung zueinander. An dem Beispiel zeigt sich auch, dass Vertrauen als imaginäre Währung wachsen kann, so dass Enttäuschungen viel besser kompensiert werden können.


Vertrauen als echte Führungsherausforderung

Diese allgemeinen Gedanken vorausgeschickt können wir uns nun auf die Bedeutung von Vertrauen bei der Arbeit fokussieren. An die Führungskräfte gerichtet: Vertrauen Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern? An diese wiederum gerichtet: Spüren Sie dieses Vertrauen und vertrauen Sie wiederum Ihrer oder Ihrem Vorgesetzen? Und spielt Vertrauen überhaupt eine Rolle bei Ihrer Arbeit?

Die Wertekommission - Initiative Werte Bewusste Führung e. V. befragt seit vielen Jahren Führungskräfte in Deutschland insbesondere nach den sogenannten sechs Kernwerten Nachhaltigkeit, Integrität, Verantwortung, Mut, Respekt und eben auch Vertrauen.

Ein Blick auf die Ranking-Ergebnisse des Jahres 2018 zeigt nur begrenzte Veränderungen seit 2014:

"Vertrauen, Verantwortung und Integrität werden weiterhin als die zentralen Werte gesehen, während Respekt, Nachhaltigkeit und Mut deutlich weniger oft als wichtigste Werte angegeben werden und somit die unteren Plätze belegen. Eine genauere Analyse der Verteilung zeigt, dass die Ergebnisse nahezu nahtlos den Trend aus den Jahren zuvor abbilden: Der Fokus liegt auf Vertrauen (32,1%), gefolgt von Verantwortung mit 28,6% und Integrität mit 21%. Während immerhin noch ein Zehntel der Befragten (10,2 %) Respekt als wichtigsten Wert einschätzt, belegen Nachhaltigkeit mit 5% und Mut mit 3,1% die untersten Plätze und werden deutlich weniger häufig als zentral eingeschätzt." (siehe S. 13)

Bemerkenswert ist aber die hohe Konstanz des Merkmals „Vertrauen". Die Wertekommission definiert den Begriff als „Verhalten, das dem Gegenüber Sicherheit gibt" sowie auch als „Vermögen, anderen Spielraum zu ermöglichen". Wenn diese Eigenschaft also offenbar seit vielen Jahren ganz oben im Wertekanon von Firmen steht, scheint er tatsächlich eine hohe Relevanz zu haben, wenigstens in der Theorie. Der Unternehmensberater Reinhard Sprenger hat dazu passend die Kernaufgaben einer Führungskraft einmal ganz reduziert auf den Punkt gebracht: „Finde die richtigen Mitarbeiter, vertraue ihnen, fordere sie heraus, sprecht häufig miteinander, bezahle sie gut und fair - und dann geh aus dem Weg!" Besonders sticht hierbei natürlich der letzten Satzteil heraus: Aus dem Weg gehen. Machen lassen. Oder anders ausgedrückt: vertrauen.

Natürlich gibt es verschiedene Stufen des Vertrauens, die in direkter Beziehung zu verschiedenen Führungsstilen stehen. Diese wiederum hängen typischerweise von den Persönlichkeitsmerkmalen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab. Nicht jeder kann mit hohen Freiheitsgraden umgehen, es gibt selbstverständlich Menschen, die eine möglichst enge Führung einfordern und auch benötigen. Und es macht natürlich auch einen Unterschied, ob jemand gerade frisch im Berufsleben angefangen hat oder aber schon seit zehn Jahren im Unternehmen arbeitet. Auch hier gilt wie zuvor allgemein dargestellt: Vertrauen ist eine Währung, die man sich erarbeitet. Der Unterschied in Bezug auf die Führungskräfte ist lediglich, wieviel Kredit im Voraus gewährt wird.


Was ist denn nun Kontrolle?

Dieser Vorschuss sowie die im Laufe der Zeit gesammelten Erfahrungen bestimmen schlussendlich auch das Maß der anderen Seite der Medaille: die Kontrolle. Die Überschrift zu diesem Artikel lässt offen, was Kontrolle eigentlich ist. Besser als Vertrauen? Oder schlechter? In jedem Fall ist Kontrolle anstrengend und ein hoher Ressourcenfresser. Jede Minute, die in Kontrolle investiert wird, wäre nachhaltiger in die Führung der kontrollierten Personen angelegt. Und gleichwohl ist Kontrolle ein notwendiges Übel, da ein Plädoyer für Vertrauen niemals mit blindem Vertrauen gleichzusetzen ist. Auch in einem Führungsrahmen im Sprengerschen Sinne muss natürlich eine Prüfung der Ergebnisse, ein vollkommen normaler Soll-/Ist-Abgleich stattfinden. Der kleine aber feine Unterschied besteht darin, ob man bis zum Ende wartet oder aber als anderes Extrem sich arbeitstäglich die Fortschritte vorstellen lässt. Letzteres ist Kontrolle, die bei den meisten Menschen dazu führt, dass wesentliche Grundeigenschaften wie Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein, Vertrautheit, Eigenmotivation und schlussendlich auch Spaß an der Arbeit gehemmt werden.

Im Kern wird Vertrauen immer die bessere Option sein, trotz aller Risiken durch Missbrauch. Würde man jedoch den potentiellen Missbrauch als Regel voraussetzen und daher als Begründung für umfangreiche Kontrolle nutzen – dann agierten Vorgesetzte und Belegschaft in einer Welt des Misstrauens. Die Folgen wären dramatisch. Niemand kann eine solche Arbeitsumgebung ernsthaft wollen.

Insofern gilt: Als Führungskraft sollte Vertrauen im Vordergrund stehen, zum Wohle der Geführten und auch zum eigenen Wohle. Für die Geführten gilt die wichtige Maxime, dieses Vertrauen wertzuschätzen und es nicht zu missbrauchen.

Unsere Welt ist zu komplex, um vertrauenslos zu leben und zu arbeiten. Lassen Sie uns in diesem Sinne stets einander vertrauen.

Vertrauen, Verantwortung und Integrität werden weiterhin als die zentralen Werte gesehen, während Respekt, Nachhaltigkeit und Mut deutlich weniger oft als wichtigste Werte angegeben werden und somit die unteren Plätze belegen. Eine genauere Analyse der Verteilung zeigt, dass die Ergebnisse nahezu nahtlos den Trend aus den Jahren zuvor abbilden: Der Fokus liegt auf Vertrauen (32,1%), gefolgt von Verantwortung mit 28,6% und Integrität mit 21%. Während immerhin noch ein Zehntel der Befragten (10,2 %) Respekt als wichtigsten Wert einschätzt, belegen Nachhaltigkeit mit 5% und Mut mit 3,1% die untersten Plätze und werden deutlich weniger häufig als zentral eingeschätzt.
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